Bericht über die Veranstaltung der Global Marshall Plan Lokalgruppe Stuttgart im Hospitalhof am 18.10.2021 mit Georgios Zervas und Peter Spiegel
Ausgehend von der Frage „Wer bezahlt den Preis unseres Wohlstandes“ stellten Georgios Zervas und Peter Spiegel in ihren Vorträgen die Forderung nach einem globalen Mindestlohn, Ermittlung wahrer Kosten und einem gerechteren Steuermodell in den Mittelpunkt. Mit diesen Forderungen an die Weltgemeinschaft, im ersten Schritt an die europäische Union, könnten schnell Fortschritte im Kampf gegen Armut und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen wie Lohndumping erreicht und globale Fluchtbewegungen verhindert werden. Wettbewerbsnachteile entstünden dadurch nicht. Die beiden Referenten haben sich intensiv mit wettbewerbsneutralen Lösungen beschäftigt und als Antwort das Konzept „WeEconomy“ entwickelt.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Ulrike Kammerer vom Hospitalhof stellte Jannis Maaß als Vertreter der Lokalgruppe Stuttgart kurz die Ziele und Forderungen der Global Marshall Plan Initiative vor und führte die Referenten ein.
Rund 80 Zuhörer waren in den Hospitalhof gekommen und folgten gespannt den kurzweiligen Ausführungen der Referenten. Beide haben schon 2003 die Vorstellung der Global Marshall Plan Initiative („Stuttgarter Erklärung“) unterstützt und die Initiative über Jahre begleitet.
Georgios Zervas hat sich über viele Jahre als Unternehmer, Berater und Autor mit dem Thema gerechter Welthandel beschäftigt (Veröffentlichungen unter anderem 2008 „Global Fair Trade – Transparenz im Welthandel“ und 2016 „Die 1-Dollar Revolution – Globaler Mindestlohn gegen Ausbeutung und Armut“). In der BRD werde Ausbeutung durch einen Mindestlohn und Sozialstandards verhindert, diese gelten aber nicht für Produkte, die im Ausland produziert und importiert werden. Hauptprofiteure eines ungeregelten Systems seien in erster Linie global agierende Konzerne, die Lohndumping betreiben könnten, immer mit dem Ziel, die Produktionskosten auf Kosten der Produzenten zu reduzieren.
Zunächst führte er die wichtigsten Gründe auf, die ein schnelles Handeln der Weltgemeinschaft erfordern: Armut (Über 1 Milliarde Menschen leben von weniger als 2 US-Dollar/Tag), die wachsenden Ungleichheiten (Wohlstandskluft: Näherin in Bangladesch verdient in einem Monat so viel wie ein Facharbeiter in Deutschland in einer Stunde), Umweltkatastrophen sind entscheidende Gründe für Fluchtbewegungen (global 82 Millionen Menschen). Vor allem in Asien gebe es zu viele Lohnsklaven, deren Einkommen nicht für ein menschenwürdiges Leben reiche. Mit einem globalen Mindestlohn von 1 Dollar pro Stunde als absolute Lohnuntergrenze für den internationalen Handel könnte Lohnsklaverei, ein vernichtender Unterbietungswettbewerb und damit viele Fluchtursachen rasch beendet werden. Das Prinzip „Geht’s noch billiger?“ müsse ein Ende haben. Nötig seien Konzepte mit globaler systemischer Wirkung. Wesentlich sei das Prinzip der Wettbewerbsneutralität. Unternehmen hätten sich auch schon in der Vergangenheit für verbindliche Regeln ausgesprochen und unterstützten einen globalen Mindestlohn, weil sie dadurch keine Nachteile zu befürchten hätten. Ein globaler Mindestlohn müsse längerfristig als Menschenrecht von den Vereinten Nationen anerkannt werden. Schneller könnte ein globaler Mindestlohn durch die internationale Arbeitsorganisation (ILO) im etablierten Sozialstandard SA 8000 erreicht werden. Die EU könnte eine Vorreiterrolle übernehmen und in Ergänzung bestehender Umweltstandards den Standard SA 8000 als Grundlage für Importe einführen. Bedenken, der Mindestlohn könne zu deutlichen Preissteigerungen führen, räumte er aus: So würden sich die reinen Arbeitskosten für eine Jeans von 20 auf 60 Cent verteuern. Durch den globalen Mindestlohn könnte ein enormes Wohlstandswachstum geschaffen werden, das Netto-Einkommen von über 1 Milliarde Menschen würde auf mindestens 200 Dollar pro Monat steigen, was zu weniger Fluchtbewegungen und zu einem sozialen Wirtschaftswunder mit einem deutlichen Anstieg der Kaufkraft führe.
Im Folgenden ging Georgios Zervas auf die von den vereinten Nationen 2015 verabschiedeten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) ein. Für deren Umsetzung müsste die Finanzierung gesichert werden. Bei einer Abgabe von 1% des Welt-BIPs (was den Abgaben für die EU entspräche) in einen Global Fund könnten 940 Milliarden zusammenkommen, ein Ausdruck globaler Solidarität. Bereits bei einer Abgabe von 1 Promille kämen 94 Milliarden zusammen. Er appellierte abschließend, die Vereinten Nationen müssten ihrer Verantwortung gerecht werden, auch jeder Einzelne müsse sich als Weltbürger begreifen und nach Lösungen für die drängenden Probleme der heutigen Zeit suchen.
Peter Spiegel, stellte im Anschluss das Konzept der Wettbewerbs-Neutralität in den Mittelpunkt seines Vortrages. In den 90er Jahren habe er ein Konzept gegen Kinderarbeit in der Teppich-Industrie mitentwickelt. Dafür seien nur 2% des Verkaufspreises erforderlich gewesen. Leider habe es zu viel Widerstand gegen diese Pläne gegeben – teils mit fadenscheinigen Ausreden. Mittlerweile seien viele Verträge derart komplex, dass Politiker sich auf die Unterstützung externer Berater verließen, deren Kanzleien aber gleichzeitig auch verantwortlich für die Lobbyarbeit der Konzerne seien – ein nicht hinzunehmender Interessenskonflikt. Die sozialen Ungleichheiten seien genauso explosiv wie die Klimakrise. Ob die EU eine Vorreiterrolle einnehmen könne, sei fraglich. Andererseits habe es bereits 2005 eine Initiative großer Unternehmen (u.a. ABB, Vattenfall, Toyota, Bosch) gegeben, die eine Verschärfung der Klimaziele gefordert habe – mit dem Ziel langfristiger Planbarkeit und wettbewerbsneutraler Bedingungen. Erst in der letzten Woche sei eine neue Veröffentlichung mit dem Titel „Deutschlands neue Agenda“ erschienen. Auch hier forderten führende deutsche Unternehmer und Ökonomen von der Politik, konsequente Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
Wichtig sei, die wahren Kosten eines Produktes zu ermitteln. Berechne man alle versteckten Kosten und Folgekosten mit ein, lägen diese bis zu 60% über dem Ladenpreis. Er stellte hierfür als Antwort das dreistufige Label „WeEconomy – Global Faire Trade Licence“ und ein wettbewerbneutrales Steuermodell vor. Entscheidend sei, die Zahl der Labels deutlich zu reduzieren. Allein für ökologische Kriterien gebe es über 1000 Labels. Auch sei ein konsumorientiertes Steuersystem erforderlich, im Gegenzug müssten andere Steuern gesenkt werden.
Peter Spiegel regte weiter an, den Schutz der Natur mehr in den Mittelpunkt zu stellen und dafür eine „Earth Life Organization“ als neue UN-Organisation zu schaffen. Förderlich sei auch ein neues Demokratieverständnis mit einem globalen Bewusstsein jedes einzelnen (World Citizen als Teil der Weltgemeinschaft). Drängend sei auf jeden Fall, dass die globale Unregierbarkeit beendet und überdacht werden müsse.
In den Fragen des Publikums, moderiert durch Ulrich Sihler, standen nach den anregenden Vorträgen Fragen nach der Umsetzbarkeit solcher Ansätze, der Rolle Chinas in der Weltpolitik sowie die Bedeutung der Bildung in diesem Veränderungsprozess im Vordergrund.
Im Anschluss an den Vortrag hatten die interessierten Zuhörer die Möglichkeit, mit den Mitgliedern der Global Marshall Plan Lokalgruppe ins Gespräch zu kommen und die Lösungsansätze zu diskutieren. Ein besonderer Dank geht an die GLS Bank, welche wie bereits in den Vorjahren durch eine großzügige Unterstützung die Veranstaltung ermöglicht hat.