Wir recyceln bis zum Geht nicht mehr – oder?

Plastikverpackungen für Bio-Gemüse, Einwegbesteck, Q-Tips – unnötiger Abfall hat mittlerweile einen schlechten Ruf und die EU hat darauf mit einem Verbot von Einweg-Plastik reagiert. Was aber ist mit dem Müll, der sich nicht vermeiden lässt?

Müll trennen, das ist etwas, das die Deutschen gerne tun, um sich für ihre Umwelt einzusetzen – in unzähligen Haushalten finden sich schwarze, braune, blaue, gelbe oder grüne Tonnen und 92% der Verbraucher halten dies Umfragen zufolge für richtig. Was wir Deutschen gleichzeitig besonders gut können, ist Müll zu produzieren. 626 Kilogramm Siedlungsabfälle verursacht ein Deutscher pro Jahr durchschnittlich, darunter 37,4 kg Plastikmüll pro Kopf. Damit gehört Deutschland zu den größten Müllverursachern der Europäischen Union – und im Gegensatz zum EU-Durchschnitt wächst die Müllmenge hier weiter an.

Dies stellt die Bemühungen für eine Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung vor große Herausforderungen. Unsere Meere und Ozeane sowie die Landökosysteme leiden unter der Verschmutzung durch unrecycelten Plastikmüll, der bis zu mehrere Jahrhunderte benötigt, um vollständig abgebaut zu werden. Auch die Entwicklung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster steht im Gegensatz zu wachsenden Müllbergen.

Ein Glück, möchte man meinen, dass in Deutschland seit der Umsetzung der Verpackungsverordnung von 1991 eben auch der größte Teil unseres Mülls recycelt wird. „Weltmeister“ sind wir laut Umweltministerin Svenja Schulze. Die Zahlen sprechen zunächst dafür, auch der EU-Vergleich beeindruckt: Kein anderes Land erreicht eine Recycling-Quote von 66%, der Durchschnitt liegt bei 47%.

Es wird weniger recycelt als wir denken

Schlüsselt man diese Zahl auf, wird deutlich, dass insbesondere ein Großteil des Glas-, Papier- und Metallmülls in Deutschland tatsächlich recycelt wird. Vom Plastikabfall allerdings wird nur knapp die Hälfte wieder zu einem neuen Produkt, die andere Hälfte wird verbrannt. Dies ist besonders problematisch, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft: Schätzungen zufolge verlieren wir in der EU 95% des Wertes von Plastikverpackungen nach einem einzigen kurzen Nutzungszyklus, eine Verschwendung aus wirtschaftlicher Sicht.

Die Berechnungsmethoden für die deutsche Recyclingquote an sich, sind jedoch durchaus fragwürdig: Als Grundlage wird die Menge an Müll herangezogen, die bei Recycling- oder Kompostieranlagen angeliefert wird. Das Problem: Zwischen 40 und 60 Prozent des Abfalls, der dort ankommt, ist in der falschen Tonne gelandet und kann daher nicht wiederverwertet werden. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen Verpackungen verwenden, die sich nur schlecht sortieren oder recyceln lassen und deshalb auch aus dem Prozess ausscheiden. Werden diese unverwertbaren Abfälle erst einmal aussortiert und die übrige Menge recycelbaren Mülls zur Berechnung der Quote verwendet, dürfte sie erheblich niedriger ausfallen und Deutschland könnte um seinen Platz als Recyclingmeister kämpfen müssen.

Hinzu kommt, dass ein erheblicher Teil des europäischen Mülls bislang nicht vor Ort wiederverwertet wurde, 87% wurden stattdessen nach China exportiert. Was dort tatsächlich mit dem Abfall passierte, konnte mangels Transparenz nicht genau nachverfolgt werden. Im letzten Jahr hat China jedoch beschlossen, nicht mehr als Mülldeponie der Welt fungieren zu wollen und hat seine Importe gestoppt. Die deutsche Recyclingindustrie stellt das vor neue Herausforderungen.

EU und Deutschland zu Handeln bereit

Die EU und auch die Bundesregierung scheinen die zunehmende Dringlichkeit einer intensivierten Kreislaufwirtschaft mittlerweile anzuerkennen: Im Mai 2018 erließ der Rat der Europäischen Union Änderungen an wichtigen abfallrechtlichen Richtlinien. Maximal zwei Jahre später soll eine einheitliche Berechnungsgrundlage für die Recyclingquote in ganz Europa gelten, sodass geschönten Quoten wie der deutschen ein realistischerer Anstrich verliehen wird. Und die EU setzt noch ambitioniertere Ziele: Bis 2025 sollen 55% der europäischen Siedlungsabfälle wiederverwertet werden, bis 2035 sogar 65%. Europaweit werden Hersteller dazu verpflichtet, finanziell für die Entsorgung und Verwertung ihrer Verpackungen aufzukommen.

Außerdem finden sich eine ganze Reihe Neuerungen im deutschen Verpackungsgesetz, das am 01. Januar 2019 verabschiedet wurde und das noch einmal höhere Recyclingquoten vorsieht als die EU-Richtlinien. Die Kontrolle über die Herstellerverantwortung bei der Entsorgung wird durch ein Registrierungssystem und hohe Geldbußen verschärft, um Trittbrettfahrereffekten vorzubeugen. Im besten Fall sollen Hersteller zudem Verpackungen verwenden, die sich leichter recyceln lassen.

Herausforderungen bleiben bestehen

Trotz der gesetzlichen Regelungen, bleibt noch viel zu tun für die Abfallindustrie: Es müssen bessere Technologien entwickelt werden, um die Qualität wiederverwerteter Kunststoffe zu erhöhen, damit tatsächlich „Recycling“ und kein „Downcycling“ stattfinden kann. Das heißt, Shampooflaschen sollen auch wieder zu Shampooflaschen werden und nicht nur zu Blumentöpfen oder Regenschirmen. Die Forschung weckt Hoffnung – zuletzt wurde sogar ein Bakterium entdeckt, das sich langsam von Plastik ernährt und den Kunststoff PET mithilfe von Enzymen in zwei ungiftige Stoffe zerlegt.
Gleichzeitig müssen Hersteller den wichtigen Schritt gehen und recycelbare Kunststoffe sowie Recyclate einsetzen, auch wenn Verpackungen optisch darunter zunächst leiden. Doch auch der Verbraucher ist angehalten, seinen Müll noch besser zu trennen. Mit Fehlwurfquoten von 40-60% dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Ein Problem ist auch, dass häufig immer noch unklar ist, was in welche Tonne gehört. Wer denkt schon daran, dass ein Kassenbon nichts im Papiermüll zu suchen hat?

Zu guter Letzt müssen Verbraucher, Produzenten und Politik jedoch endlich die Bilder von Plastikteppichen in den Meeren ernst nehmen und dafür sorgen, dass der Müll, den wir recyceln müssen, erheblich weniger wird. Deutschland hat sich vor drei Jahren den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet und trägt damit die Verantwortung, bei der Verwertung und Vermeidung von Müll große Schritte zu machen, anstatt sich auf Statistiken und Weltmeistertiteln auszuruhen.

Von Annika Liebert


weiterführende Links:

Quiz vom Umweltbundesamt zur Mülltrennung: https://www.umweltbundesamt.de/quiz-richtig-recyceln

https://www.bmu.de/pressemitteilung/hoehere-recyclingquoten-fuer-eu/ 

http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20181212STO21610/plastikmull-und-recycling-in-der-eu-zahlen-und-fakten

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/das-verpackungsgesetz-weniger-verpackung-und-mehr-recyceln-15988143.html

https://www.welt.de/wissenschaft/article175504851/Ideonella-sakariensis-Bakterien-die-Plastikmuell-fressen.html